Zwischen Kanzlerin und Richtersprüchen - ein Exkursionsbericht aus Straßburg
von OK
Mitte November 2018 begaben sich Masterstudierende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena auf Exkursion in die deutsch-französische Grenzstadt Straßburg.
Geleitet wurde die Exkursion von Dr. Benjamin Höhne vom Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) und Lisa Krotz von der Bildungseinrichtung Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt e.V. Finanziert wurde die Reise über Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung. Im Rahmen des halleschen Masterseminars „Das europäische Parlament in politikwissenschaftlicher und politischer Perspektive“ wurde bereits vor Beginn der Exkursion das grundlegende Verständnis der europäischen Institutionen bei allen Teilnehmenden gefestigt. Mit der Exkursion nach Straßburg, heute geprägt durch sein internationales Flair und gezeichnet von seiner deutsch-französischen Vergangenheit, wurde die praktische Arbeit des Europäischen Parlaments näher beleuchtet.
In Straßburg angekommen stand als erster Programmpunkt der Einführungsvortrag von Dr. Stefan Seidendorf, stellvertretender Direktor des deutsch-französischen Instituts (dfi) in Ludwigsburg, an. Als Experte für die deutsch-französischen Beziehungen führte er die Teilnehmenden in die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich ein. Vor allem die Differenzen der beiden Länder, die auch als „Motor“ der Europäischen Union bezeichnet werden, illustrierte Seidendorf anschaulich anhand persönlicher Erfahrungen. Gerade in den Unterschieden läge jedoch einer der Gründe dafür, dass die beiden Länder auf verschiedenen Ebenen besonders intensive Beziehungen zueinander unterhalten. Das Motto „Interdependenz trotz großer Unterschiede“ ist nicht nur auf die von Rivalität geprägte Geschichte der beiden Staaten zurückzuführen, sondern auch auf den gemeinsamen Willen, Frieden zu erhalten und zusammenzuarbeiten, wie sich am Beispiel des 1964 unterzeichneten Elysée-Vertrags zeigt. Bis heute halten sich die Politiker beider Länder daran und treffen sich regelmäßig zu deutsch-französischen Konsultationen. Besonders interessant waren die Ausführungen vor dem Hintergrund der gegenseitigen Besuche von Angela Merkel und Emmanuel Macron anlässlich des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs im direkten Vor- und Nachgang der Exkursion.
Am darauffolgenden Tag stand der erste Besuch im Europäischen Parlament an. Bei dem Termin mit dem Europäischen Bürgerbeauftragten wurden dessen grundlegende Aufgaben vorgestellt und erklärt, wie eine Beschwerde gegen Organe der Europäischen Union funktioniert. Mithilfe der rund 70 Mitarbeiter konnten – nach Aussage der Referentin – bisher so gut wie alle Anliegen gelöst werden. Anschließend folgte der Besuch einer Dauerausstellung zur Geschichte des politischen Europas.
Am Nachmittag besuchte die Gruppe den Europarat, der in unmittelbarer Nähe des Parlaments liegt. Neben der Besichtigung des Plenarsaales und einer allgemeinen Einführung in Funktion, Mitglieder und Finanzierung wurde ausführlich dargestellt, wie er in die politische Landschaft Europas einzuordnen ist. Kritisch wurde dabei vor allem die abnehmende Solidarität zwischen den 47 Mitgliedsstaaten betrachtet. So stellte beispielsweise Russland seine Zahlungen an den Europarat komplett ein, was sich enorm auf den Haushalt und somit auch auf die Projekte, die der Europarat fördert, auswirkt. Es müsse wieder verstärkt darum gehen, die Ausbreitung nationalistischer Tendenzen einzudämmen und das Friedensprojekt Europa mit seinen Partnern zu stärken, so ein Resümee der Gruppe.
Am Mittwoch ging es dann noch einmal ins Europäische Parlament, wo sich die Gruppe mit dem Europaabgeordneten Arne Lietz und seiner Mitarbeiterin Marta Polusik traf. Durch seine Arbeit im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, im Entwicklungsausschuss und im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung lag es nahe, das Thema einer gesamteuropäischen Armee zu diskutieren. Durch die tags zuvor gehaltene Rede von Angela Merkel im Europäischen Parlament stand es schließlich überall auf der Agenda. Lietz argumentierte, dass die Schaffung einer europäischen Armee dazu führe, die sicherheitspolitische Abhängigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten zu verstärken. Dadurch könne auch Alleingängen in den Nationalstaaten entgegengewirkt werden. Zudem solle es keine Angriffs-, sondern eine Verteidigungsarmee sein, die für Lietz die Vollendung des europäischen Friedens darstellt. Als Abgeordneter kritisierte er in diesem Kontext aber auch das fehlende Initiativrecht des Europäischen Parlaments. Angesichts der Vielzahl zukünftiger Herausforderungen wie etwa der Klimaproblematik sei es von dringender Notwendigkeit, dass es einen neuen europäischen Vertrag gebe, in dem das Parlament mehr Rechte bekomme, um Politik noch aktiver gestalten zu können.
Dadurch, dass der Besuch in der Sitzungswoche des Europäischen Parlaments erfolgte, konnten viele aktuelle Entscheidungen und Begebenheiten während der Exkursion in den entsprechenden Institutionen gleich angesprochen und diskutiert werden. So erlebten die Studierenden ein besonderes Highlight im Plenarsaal, in dem der Präsident der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa, vor den Abgeordneten eine Rede hielt. Im Anschluss ging es ins Zentrum zu einer Stadtführung, bei der die Geschichte Straßburgs und die Besonderheiten der Region Elsass behandelt wurden. Zur Vertiefung besuchte die Gruppe anschließend das Historische Museum, das die Stadtgeschichte Straßburgs vom Mittelalter bis in die Gegenwart nachzeichnet und dabei auch dessen deutsch-französische Vergangenheit verdeutlicht.
Der letzte Exkursionstag beinhaltete den Besuch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Im Gericht hatten die Studierenden die Möglichkeit, ihre Fragen an Julian Nusser, Rechtsreferent der deutschsprachigen Kanzlei, zu stellen. Neben der Organisation des Gerichtshofs, seiner Finanzierung und rechtlichen Grundlage erhielt die Gruppe außerdem einen Einblick in aktuelle Fälle des Gerichtshofs. Diese zeigen, wie schwierig sich die Arbeit mit den Mitgliedsstaaten gestalten kann und welche juristischen Probleme bei der Falllösung zum Vorschein kommen. Welchen Einfluss das Gericht bis heute ausübt, wurde auch daran deutlich, dass an eben jenem Tag das Urteil im Verfahren des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny verkündet wurde: Russland wurde politische Verfolgung nachgewiesen und das Land hat nun mit einer Entschädigungszahlung an Nawalny sowie der Ermöglichung friedlicher Demonstrationen zu reagieren. Durch die Mitgliedschaft Russlands im Europarat ist das Urteil bindend.
Dieser Bericht ist ein Gastbeitrag von Sophie Kopsch (Masterstudentin der Martin-Luther-Universität).