Eröffnung des IParl am neuen Standort in Berlin-Mitte

von OK

„Durchs Nadelöhr der Demokratie – Die Kandidatenaufstellung in den Parteien“ – Unter diesem Titel hatte das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) am 27. März 2019 zur Eröffnung seines neuen Standorts nach Berlin-Mitte eingeladen. Wissenschaftler aus universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Spitzenbeamte der Bundestagsverwaltung, Vertreter aus Politik, parteinahen Stiftungen und Think Tanks sowie Journalisten waren der Einladung gefolgt.

Zum Auftakt der Veranstaltung erinnerte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Wissenschaft & Demokratie (SWuD) Prof. Dr. Joachim Krause an den Auftrag der Stiftung im Sinne des Gründers Prof. Dr. Eberhard Schütt-Wetschky: Mit Grundlagenorientierung, Praxisfokus und Politiknähe im Bereich der Parlamentarismus- und Parteienforschung solle das IParl eine Lücke zu den Think Tanks mit außenpolitischem oder parteinahem Fokus in Berlin schließen. Dazu eigne sich das Auftaktprojekt zur Kandidatenaufstellung in besonderem Maße, denn dadurch werde ein seit den 1960er Jahren bestehender blinder Fleck der Politikwissenschaft umfassend beleuchtet.

Gründungsdirektorin Prof. Dr. Suzanne S. Schüttemeyer betonte, dass die Untersuchung der Auswahl von Parlamentsbewerbern wie auch das Wirken der Abgeordneten in Parlamenten einen wichtigen Beitrag für die Verankerung der demokratischen Ordnung in der Gesellschaft darstellt. Anschließend hob Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts policy matters, mit dem die Feldforschung der Studie zur Kandidatenaufstellung gemeinsam konzipiert und durchgeführt worden war, die Besonderheiten und Herausforderungen dieses Projekts hervor. Hierfür habe es „keinen vorgetrampelten Pfad“ gegeben. Für die Parteien selbst habe dies ebenfalls eine neue Erfahrung dargestellt, da sich diese erstmals in einer solch umfangreichen Forschungssituation befunden hätten.

Dr. Benjamin Höhne, stellv. Leiter des IParl, präsentierte die sieben Parteistudien verbunden mit einem Dank, insbesondere an die über 10.000 Parteimitglieder, die das IParl durch die Teilnahme an der Befragung unterstützt haben. Er stellte fest, dass es im Lichte des Forschungsprojekts so schlecht nicht um die deutsche Parteiendemokratie bestellt sein kann, wie manch Kritiker glauben mag. Dabei verwies er auf die vielfach erlebte intensive Partizipation in allen Bundestagsparteien.

Für die von Suzanne S. Schüttemeyer moderierte und lebhaft geführte Diskussion zum Thema „Vom Hinterzimmer ins Parlament?“ fanden sich auf dem Podium mit Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, und Linda Teuteberg, MdB, zwei Praktiker der Politik mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund ein. Ergänzt wurde die Runde von Prof. Dr. Bernhard Weßels vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der WELT-Journalistin Dr. Susanne Gaschke, die als kritische Beobachterin wie auch ehemalige aktive Politikerin zahlreiche Anregungen liefern konnte. Schüttemeyer eröffnete das Podium mit folgenden Fragen: Dominiert bei Aufstellung von Wahlbewerbern „Hinterzimmerpolitik“? Was ist von Forderungen nach Spiegelbildlichkeit von Parlamenten zu halten? Gibt es überhaupt die „richtige“ Kandidatin, den „richtigen“ Kandidaten?

In der darauffolgenden Diskussion argumentierte Norbert Lammert, dass Vorurteile, wie die Hinterzimmerpolitik, meist nicht gänzlich aus der Luft gegriffen seien. Es müsse aber untersucht werden, wo ihr „wahrer Kern“ liege. Solche Fragen seien nicht durch vermeintlich einfache Antworten zu lösen. Lammert richtete als erfahrener Politiker den Blick auf das Problem vorschneller Verallgemeinerungen von Erfahrungen und daraus resultierender voreilige Schlussfolgerungen. Linda Teuteberg, 2017 erstmals in den Bundestag eingezogen, hob besonders die Unterschiede zwischen den Landesverbänden innerhalb einer Partei hervor: Die Menge aussichtsreicher Plätze auf den Landeslisten beeinflusse den Wettbewerb, wobei Wettbewerb und „Kampfkandidaturen“ oft von den Medien und der Öffentlichkeit negativ wahrgenommen würden. Sie persönlich sehe darin viel mehr ein Angebot an die Auswählenden, zwischen verschiedenen Personalalternativen zu entscheiden – ein Merkmal lebendiger Demokratie.

Susanne Gaschke bewertete die personelle Auswahlfunktion der Parteien grundsätzlich positiv. Fraglich sei für sie hingegen, ob die Parteien dieser Aufgabe noch gerecht würden, in dem Sinne, dass sie dem Wähler ein optimales Angebot unterbreiten. Probleme sah sie vor allem bei dem erforderlichen Zeitaufwand für ehrenamtliche Parteiarbeit. Gaschke sprach einige Gruppen an, etwa alleinerziehende Eltern, die das für eine aussichtsreiche Nominierung notwendige Engagement – von etwa 66 Stunden im Monat, so ein IParl-Befund, – nicht aufbringen könnten und somit benachteiligt wären. Demgegenüber betonte Schüttemeyer, dass es innerparteilich bekannte Kriterien zur Kandidatenauswahl gibt, die der Politikwissenschaft bislang noch verschlossen waren. Sie erläuterte das Spannungsfeld, dass viele Bürgerinnen und Bürger einerseits spiegelbildliche Repräsentation forderten, andererseits ein hinreichend hohes Maß an Professionalität bei den Abgeordneten erwarteten.

In der Abschlussrunde pointierte Bernhard Weßels die aus seiner Sicht zentrale Problematik hinsichtlich der gegenwärtigen Situation der Parteien: Seit den 1990er Jahren seien die Mitgliederzahlen in Deutschland halbiert worden, die Anzahl der von Parteien zu besetzenden Ämter und Mandate jedoch annähernd gleichgeblieben. Das schlechte Image der Parteiarbeit sowie vor allem deren Kennzeichnung als „schmutzige Arbeit“ würden die Attraktivität mindern. Während sich auf der Bundesebene noch ausreichend Wahlbewerber finden würden, wirke sich der Mitgliederrückgang bei den kommunalen Parteivereinigungen bereits aus, fügte Schüttemeyer hinzu. Teuteberg ergänzte dazu, dass diejenigen, die sich noch in Parteien engagieren, mit höheren Anforderungen seitens der Bevölkerung konfrontiert sind. Zum Ruf der Politiker hob Lammert hervor, dass immer noch viele Menschen diesen Beruf ergreifen, auch wenn es lediglich ein „Vierjahresvertrag ohne Sicherheit der Verlängerung“ ist. In der Diskussion über Parteien stellte er fest, dass es meist viele Beschreibungen der Unzulänglichkeiten und allzu wenig Verbesserungsvorschläge gäbe. Daran knüpfte der IParl-Workshop am folgenden Tag an.

Joachim Krause bei seinem Grußwort
Joachim Krause bei seinem Grußwort
Suzanne S. Schüttemeyer bei ihrer Eröffnungsansprache
Suzanne S. Schüttemeyer bei ihrer Eröffnungsansprache
Richard Hilmer während der Studien-Vorstellung
Richard Hilmer während der Studien-Vorstellung
Norbert Lammert auf dem Podium
Norbert Lammert auf dem Podium
Bernhard Weßels und Linda Teuteberg
Bernhard Weßels und Linda Teuteberg
Susanne Gaschke
Susanne Gaschke
Astrid Kuhn (Geschäftsführerin SWuD), Dr. Sebastian Galka (Vorstand SWuD) und Dr. Hans-Peter Bartels (Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags)
Astrid Kuhn (Geschäftsführerin SWuD), Dr. Sebastian Galka (Vorstand SWuD) und Dr. Hans-Peter Bartels (Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags)
MinR Thomas Hadamek und Dr. Horst Risse (Direktor beim Deutschen Bundestag)
MinR Thomas Hadamek und Dr. Horst Risse (Direktor beim Deutschen Bundestag)
Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Bundesminister der Justiz, a.D.)
Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Bundesminister der Justiz, a.D.)

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