Populismus-Vorlesungsreihe fand ihr historisches Ende
von AP
Mit dem Vortrag von Patrick Wagner, Professor für Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, endete am 25. Januar 2018 die Vorlesungsreihe „Populismus und Demokratie“. Die vom Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) und vom Institut für Politikwissenschaft und Japanologie konzipierte Populismus-Reihe richtete sich nicht nur an Wissenschaftler, sondern auch an interessierte Bürger und Studierende. Seit dem 1. November 2017 wurden das Phänomen Populismus und seine Protagonisten aus verschiedenen, auch über Deutschland hinausgehenden Blickwinkeln, betrachtet.
Gut eine Woche nach der Konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages gingen Benjamin Höhne und Anastasia Pyschny zum Vorlesungsauftakt der Frage nach, wie die Alternative für Deutschland (AfD) innerparteilich organisiert ist. Auf Grundlage des IParl-Forschungsprojekts zur Bundestags-Kandidatenaufstellung zeigten sie auf, dass die Partei intern ein hohes Demokratieniveau aufweist, dem jedoch demokratietheoretisch fragwürdige Praktiken wie einzelne Ex-Post-Abwahlen von Bundestagskandidaten gegenüberstehen. Nach der Binnenanalyse legte der Kommunikationswissenschaftler und Politikberater Johannes Hillje am 8. November dar, mit welcher Medienstrategie Populisten ihre Politik nach außen kommunizieren und wie sie den Machtfaktor der Sprache für ihre politischen Zielsetzungen (be)nutzen.
Im Fokus der AfD-Kritik steht oft die 68er-Bewegung. Petra Dobner, Politik-Professorin an der Martin-Luther-Universität, ging am 15. November der Frage nach, ob der aus der Bewegung hervorgegangene Postmaterialismus zum Erstarken der Partei beigetragen hat. Sie kam zu dem Schluss, dass die AfD ihren Aufschwung nicht dem Postmaterialismus, sondern eher dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktizierten Neoliberalismus zu verdanken hat. Wie die AfD diesen Aufschwung aktuell in den Landesparlamenten für sich nutzt, zeigte in der darauffolgenden Woche Bernhard Weßels vom Wissenschaftszentrum Berlin: Sie sind nicht nur gekommen, um zu bleiben, sondern wollen auch provozieren, so das Fazit des Wahl- und Demokratieforschers.
Am 29. November sprach Jens Hacke, Vertretungsprofessor am Theorie-Lehrstuhl der Martin-Luther-Universität, über Populismus, Demagogie und Charisma. Dabei plädierte er im Sinne von Max Weber für mehr Leidenschaft in der Politik. Leidenschaftliche Diskussionen ergaben sich am 6. Dezember beim Vortrag von Frank Decker, Professor von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der über die Entstehungsursachen und Erfolgsperspektiven der AfD sprach. Er problematisierte die fehlende Dialogbereitschaft und Kompromissfähigkeit der Populisten, die für den demokratischen Prozess konstitutiv sind, und präsentierte Strategien der Auseinandersetzung mit populistischen Akteuren.
Mehrere Vorträge der Reihe beschäftigten sich mit dem Populismus außerhalb Deutschlands: Sven Jochem, Professor an der Universität Konstanz, zeigte am Beispiel der nordischen Länder Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland wie die populistischen Parteien agieren, wenn sie an der Regierung beteiligt sind. Dabei zeigten sich erhebliche Länderunterschiede. „Zähmungseffekte“ im Sinne einer gemäßigteren Ausrichtung der populistischen Parteien bei einer Regierungsbeteiligung sind nur in Norwegen und Finnland zu beobachten.
Michael Kolkmann, Dozent an der Uni Halle, richtete seinen Blick auf den Populismus im US-amerikanischen System der „Checks and Balances“. Er zeigte, dass dieses unter der Präsidentschaft Trumps immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät. Nachdem der Vortrag des Parteienforschers Karsten Grabow von der Konrad-Adenauer-Stiftung zur osteuropäischen Spielart des Populismus leider entfallen musste, präsentierte Roland Sturm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg das Erstarken und den Fall populistischer Parteien in Großbritannien. Die UK Independence Party (Ukip) ist durch ihre Anti-Europa-Haltung politisch aufgestiegen, doch nachdem diese Position von der Conservative Party übernommen wurde, wieder bedeutungslos geworden. Bei den letzten Parlamentswahlen verlor die Ukip nicht nur ihren einzigen Sitz, sondern auch etwa zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2015.
Die Vorlesungsreihe fand mit der Frage von Patrick Wagner, ob der Populismus ein Gegenwartsphänomen ohne Vorgeschichte sei, ihren ‚historischen‘ Abschluss. In weniger als 60 Minuten wurden populistische Bewegungen innerhalb eines Jahrhunderts (1870 bis 1970) aufgezeigt und typologisch eingeordnet. So kam Wagner zu dem Schluss, dass es durchaus populistische Vorläuferbewegungen gab, verwies aber gleichzeitig auf das geschichtswissenschaftliche Problem, dass der Populismus-Begriff häufig als Residualkategorie begriffen wird.
Die Veranstalter bedanken sich bei allen Zuhörern für ihr Interesse und die interessanten Fragen und wünschen den Studierenden unter ihnen ereignisreiche Semesterferien.